Interview mit BBH-Partner Tobias Sengenberger: Auswirkungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD für die Wirtschaftsprüfung
Die Nachhaltigkeit ist eindeutig eines der Trendwörter des 21. Jahrhunderts. Den Unternehmen kommt dabei die tragende Rolle zu, wenn es um die grüne Transformation geht. Aber auch Stakeholder und Investoren haben Interesse an einer transparenten, nicht finanziellen Berichterstattung. Was die Einführung von Nachhaltigkeitssystemen in Unternehmen für diese bedeutet und welche Rolle Wirtschaftsprüfer:innen dabei spielen, zeigt uns Wirtschaftsprüfer und BBH-Partner Tobias Sengenberger.
Fest steht: Die Bedeutung der Nachhaltigkeit steigt bei Stakeholdern und Investoren - dementsprechend also auch bei den Unternehmen. Woran liegt das?
Der maßgebliche Grund dafür, dass der Druck ad hoc für Unternehmen der Finanzwirtschaft – aber auch der Realwirtschaft steigt, ist die Verschärfung der europäischen Gesetzgebung in den letzten Jahren. Das Thema ist im Rahmen der Pariser Klimaschutzkonferenz im Jahr 2015 erstmals in den breiten Kreis der Öffentlichkeit geraten. Seinerzeit wurden Vorgaben auf den Weg gebracht, dass insbesondere börsennotierte Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet werden sollen. Dies wurde mit der NFRD im Jahr 2018 umgesetzt.
Daraus resultierte jedoch, dass die Verpflichtung dieser Unternehmen nicht zu einer nachhaltigen Transformation der europäischen Wirtschaft führte. Mit der sogenannten CSRD hat der europäische Gesetzgeber nochmals nachgebessert, sodass ab 2025 ein breiterer Kreis an Unternehmen dazu verpflichtet wird, mit Nachhaltigkeitsinformationen zu arbeiten, diese offenzulegen und prüfen zu lassen.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in den Prüfungs- und Compliance-Prozessen?
Ich denke, dass der Compliance-Prozess von diesem Thema insbesondere betroffen sein wird. Wir sprechen hier ja über die Konzeption einer Nachhaltigkeitsstrategie in den Unternehmen. Das bedeutet meines Erachtens das Umkrempeln der Aufbau- und der Ablauforganisation. Die Unternehmensprozesse müssen auf eine nachhaltige Unternehmensführung umgestellt werden. Aufgrund des Bezugs auf Umwelt, Soziales und die Governance wird die Implementierung eines Nachhaltigkeitskonzepts nahezu alle Unternehmensbereiche betreffen.
Ergeben sich Schwierigkeiten bei der Prüfung von Nachhaltigkeitsdaten im Vergleich zur Prüfung von finanziellen Informationen?
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD ist auch für uns Wirtschaftsprüfer eine völlig neue Welt. In der Vergangenheit haben wir eine Bilanz, eine Gewinn- und Verlustrechnung sowie bestimmte Zahlen vorgelegt bekommen. Mit diesem Material haben wir uns dann im Rahmen eines risikoorientierten Prüfungsansatzes den Geschäftsmodellen genähert.
Bei der nicht-finanziellen Berichterstattung ist es nun so, dass ganz neue Kriterien einfließen. Deswegen ist es für uns besonders wichtig, dass Unternehmen frühzeitig eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen und ihre Prozesse umstellen. Das bedeutet, dass nachhaltigkeitsbezogene Risikomanagementsysteme aufgebaut werden müssen, Nachhaltigkeitskriterien über Compliance Management Systeme überwacht werden und dann natürlich auch interne Kontrollen implementiert werden. Darauf aufbauend kann dann eine Systemprüfung bezüglich der Nachhaltigkeitsinformationen durchgeführt werden, welche wesentlich effizienter sein kann als die Prüfung von einzelnen Daten.
Wie ist es denn möglich, die Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu prüfen?
Auch hier ist es so, dass wir qualitative und quantitative Kriterien haben. Letztendlich sprechen wir über 1144 Datenpunkte, die maximal in einen Nachhaltigkeitsbericht eingehen können. Die Wesentlichkeitsanalyse ermöglicht es den Unternehmen, nicht einschlägige oder unwesentliche Daten wegzulassen.
Wenn wir einen Blick auf die umweltbezogenen Kriterien werfen, ist zum Beispiel die Treibhausemissionsbilanz als eine der wichtigsten Kennzahlen relevant. Unter diesem Punkt werden die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens offengelegt. Vom Status Quo ausgehend haben die Unternehmen dann Umsetzungspläne zu erarbeiten und offenzulegen, mit welchen sie darlegen, welche Ziele sie mit welchen Maßnahmen erreichen wollen. Bezüglich der Treibhausgase kann dies nur ein Netto-Null-Ziel sein.
Darüber hinaus geht es auch um Schadstoffe nach der VO 166/2006. Im Rahmen des Nachhaltigkeitsberichts ist darzustellen, wie schädliche Stoffe durch umweltfreundlichere ersetzt werden können. Es geht letztendlich immer darum, den Status Quo darzustellen und auf eine nachhaltigere Alternative überzuleiten und diesen Umsetzungsplan offenzulegen.
Unter dem Aspekt der Menschenrechte geht es zum einen darum, wie ein Unternehmen mit den eigenen Mitarbeiter:innen umgeht. Also ob es beispielsweise schon ein Konzept gibt, wie diese gefördert werden können. Bei uns in Deutschland ist das ggf. etwas einfacher, da wir schon gute Arbeitsschutzregeln und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bereits höhere Standards etabliert haben. Auf der anderen Seite muss der Blick aber auch auf die Wertschöpfungskette gerichtet werden. Es müssen die Bedingungen für die Menschen angepasst werden, die aufgrund von Zulieferungen in anderen Ländern, wie beispielsweise in China, für die Wertschöpfung des eigenen Unternehmens eine Rolle spielen. Auch diesbezüglich muss offengelegt werden, wie mit den Arbeitsbedingungen in der Lieferkette umgegangen wird.
Sind die Wirtschaftsprüfer:innen der Nachhaltigkeitsexpertise personell gewachsen?
Das muss meines Erachtens ein bisschen abgeschichtet werden. Die Welt der Wirtschaftsprüfung gliedert sich derzeit in die 4 Großen, den Mittelstand, zu welchem BBH sicherlich auch gehört, und viele kleine Wirtschaftsprüfungskanzleien, welche mit zwei, drei oder vier Wirtschaftsprüfer:innen eine Kanzlei betreiben. Durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird nun erneut Druck auf die Branche ausgeübt. Man wird diese neuen Themen fachlich aufarbeiten müssen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass kleinere Kanzleien zukünftig keine Prüfung von Unternehmen mehr anbieten werden, welche Nachhaltigkeitsinformationen offenzulegen haben.
Die zweite große Frage ist, ob die Nachhaltigkeit hinsichtlich der umweltbezogenen Kriterien ein „Steckenpferd“ des Wirtschaftsprüfers ist, oder ob Expert:innen hinsichtlich dieser technisch umweltbezogenen Themen hinzugezogen werden müssen. Da verfügen wir bei BBH über den großen Vorteil, dass wir auch Ingenieure haben, welche uns zukünftig unterstützen können. Die Big 4 und der übrige Mittelstand wird sich sicherlich in der Zukunft über den Tellerrand der Betriebswirtschaft hinausbewegen und ebenfalls Ingenieur:innen in die Prüfung einbeziehen müssen. Diesbezüglich stellt sich die Frage, woher diese in Anbetracht des momentanen Arbeitsmarkts kommen sollen.
Welche Veränderungen sind in der Ausbildung von Wirtschaftsprüfer:innen notwendig, um den Anforderungen der Nachhaltigkeitsprüfung gerecht zu werden?
Wenn man sich die Ausbildung des Wirtschaftsprüfers anschaut, ist das Hochschulstudium die Grundlage. Dabei muss das Studium nicht unbedingt einen wirtschaftlichen Schwerpunkt haben. Im Rahmen der Vorbereitung auf das Wirtschaftsprüferexamen werden klassische Themen wie Betriebswirtschaft, Unternehmensführung und Investitionsrechnung – also letztendlich die Betriebswirtschaft in allen Facetten, das Wirtschaftsrecht und das Steuerrecht fokussiert. Der größte und umfassendste Teil stellt der Bereich des Prüfungswesens dar, in welchem die Prüfungsmethodik, aber auch die nationale und internationale Rechnungslegung vermittelt werden. Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Wirtschaftsprüfer Experte in der Betriebswirtschaft und dem Recht ist.
Kein Experte ist er bis dato in umweltbezogenen Standards und hinsichtlich menschenrechtsbezogener Themen. Diese werden zukünftig in der Wirtschaftsprüferausbildung zusätzlich vermittelt. Alle Menschen, die jetzt im Jahr 2024 Wirtschaftsprüfer:in werden wollen, müssen sich also auch mit diesen Themen auseinandersetzen. Für alle Menschen, die bereits Wirtschaftsprüfer:in sind, bietet das Institut der Wirtschaftsprüfer eine Fortbildung an, welche nach dem Referentenentwurf zum CSRD-Umsetzungsgesetz zwingende Voraussetzung ist, um zukünftig Nachhaltigkeitsberichte prüfen zu dürfen.
Wie fördert BBH die Expertise der Mitarbeiter:innen bezüglich der Nachhaltigkeitsprüfung? Sind Schulungen und Weiterbildungsprogramme notwendig?
Der sogenannte Sustainability Auditor ist erst mal die Speerspitze, welcher über zwei Modelle und fast 200 Stunden genau diese Themen vermittelt. Dieser Schulung unterziehen wir uns im Moment, um für die erste Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung Ende des nächsten Jahres bereit zu sein.
Daneben gibt es das Kernnachhaltigkeitsteam bei BBH, welches sich die letzten Jahre bereits mit den neuen Anforderungen auseinandergesetzt hat. Dazu gehöre ich als Wirtschaftsprüfer, aber auch Wirtschaftsingenieur:innen und Expert:innen des Umwelt- und Energiemanagements. Somit sind wir neben der Ausbildung der Wirtschaftsprüfer:innen in dem Thema der Nachhaltigkeit gut verwurzelt.
Wie unterstützen Sie Ihre Mandant:innen dabei, ihre Nachhaltigkeitsziele zu definieren und zu erreichen?
Letztendlich ist es so, dass die meisten Stadtwerke nicht börsennotiert sind. Deswegen fallen sie in die Kategorie der Unternehmen, die erstmalig für das Geschäftsjahr 2025 Nachhaltigkeitsberichte erstellen und offenlegen müssen. Wenn sie am Ende des Jahres 2025 einen fertigen Bericht haben wollen, müssen sie sich bereits jetzt mit der Anpassung der Prozesse beschäftigen. Nur so können im nächsten Jahr Datenpunkte erhoben und gesteuert werden.
Um das bewältigen zu können, bieten wir im ersten Schritt Workshops an, in welchen wir mit den einzelnen Unternehmen klare Arbeitspakete besprechen, welche im Jahr 2024 zu absolvieren sind und die Unternehmen über das Jahr 2025 bis zum endgültigen Bericht begleiten sollen. Ziel ist es, vorbereitet in den ersten Jahresabschlusserstellungsprozess Ende 2025 und Anfang 2026 zu starten.
Neben der Beratung dieser Prozesse ist es unser Anspruch, die Wirtschaftsprüfer:innen der Unternehmen mitzunehmen, sodass diese die Erstellung dieser Konzepte gleich prüferisch begleiten und nicht erst am Ende vor vollendete Ergebnisse gestellt werden.
Wir versuchen also, als Moderator zwischen Stadtwerken und deren Wirtschaftsprüfer:innen Nachhaltigkeitsstrategien zu konzipieren.
Und wenn wir schon dabei sind - wie steht es denn bei der BBH-Gruppe mit Nachhaltigkeit?
Auch wir überlegen uns im Moment, welche Umweltkriterien bei uns einschlägig sind und welche menschenrechtsbezogenen Themen wir identifizieren müssen. Wir überlegen selbst, bis Ende 2025 einen ersten Nachhaltigkeitsbericht nach CSRD zu erstellen. Das ist für uns zum einen wichtig, um mit unseren Mandant:innen auf Augenhöhe arbeiten zu können. Zum anderen ist es für uns auch wichtig, zu den nachhaltigsten Wirtschaftskanzleien Deutschlands zu gehören. Ich denke, wir müssen bei dem Thema einfach vorangehen, um weiterhin zu den Marktführern zu gehören.
Können Sie Beispiele für konkrete positive Erfolge oder positive Veränderungen geben, die durch die Einführung eines Nachhaltigkeitssystems erreicht wurden?
Wenn wir mal in die Breite unserer Unternehmen schauen, gibt es bereits das ein oder andere Werk, welches Nachhaltigkeitsprozesse implementiert. Diese werden aber wohl erst über den Zeitablauf mittel- und langfristig greifen. Insbesondere registrieren wir, sowohl bei unseren Mandant:innen als auch bei BBH, dass insbesondere die Mitarbeitenden das Thema vorantreiben möchten. Daher ist es die Aufgabe der Geschäftsleitungen, das Thema aufzugreifen und zu fördern. Wir müssen alle unsere Prozesse umstellen, um ab sofort nachhaltiger zu wirtschaften.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Ich denke, dass die Umstellung der Nachhaltigkeitsprozesse ein sukzessiver Prozess sein wird. Die Unternehmen werden über die Wesentlichkeitsanalyse zunächst die „low hanging fruits“ abfahren und im Zeitablauf auch die Zügel anziehen müssen. Hoffentlich schon bis 2035. Mein persönlicher Wunsch wäre, dass wir als Bundesrepublik Deutschland, aber auch als Europäische Union vorangehen und letztendlich auch die Weltwirtschaft zu einem nachhaltigeren Wirtschaften bewegen. Ich denke, dass das dringend erforderlich ist und wohl auch der letzte Strohhalm ist, der uns verbleibt, um unseren nachfolgenden Generationen eine Umwelt zu hinterlassen, wie wir sie vorgefunden haben. Insbesondere im Interesse unserer Kinder wünsche ich mir, dass dieses System greift und Unternehmen dem Prozess folgen und ihren Beitrag leisten.
Das klingt nach einem erheblichen Aufwand für die Unternehmen ...
Ja. Das stimmt. Das ist aber der aufgelaufene Aufwand, den wir jetzt im Jahr 2024 aufwenden müssen, weil wir das Thema die letzten 30 Jahre nur „stiefmütterlich“ behandelt haben. Hätten wir 1995, als das Thema erstmalig auf der politischen Agenda war, mit unseren Hausaufgaben begonnen, wäre der Übergang leichter gewesen. Nun ja. Ärmel hochkrempeln und anpacken!
Ihre Antwort für eine erfolgreiche nachhaltige Transformation der Unternehmen zusammengefasst?
Ich glaube, alle Unternehmen (einschließlich wir bei BBH) täten gut daran, jetzt ein Nachhaltigkeitskonzept zu erstellen, welches ein klares Ziel verfolgt und ganz konkrete Maßnahmen aufweist, mit welchen wir unsere ESG-Ziele erreichen. Das muss meines Erachtens nach ein Mehrjahresplan sein, welcher unser Wirtschaftssystem in den nächsten fünf bis zehn Jahren sukzessiv umbaut.
Diese Zeit muss dann tatsächlich auch für die Transformation genutzt werden, um bestimmte Weichen zu stellen. Wichtig ist also, bestimmte Nachhaltigkeitsziele nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch in der Lieferkette gegenüber den Lieferanten und Kunden durchzusetzen. Dabei spielt die Transparenz DIE entscheidende Rolle, sodass die Marktteilnehmer vergleichen können, welches Unternehmen am nachhaltigsten ist. Auf diese Art und Weise kann/muss jedes Unternehmen seine eigene Wertschöpfungskette gestalten!
Vielen Dank für das Gespräch!