Interview mit BBH-Partnerin of Counsel Prof. Dr. Dörte Fouquet: Eine Europäerin in Europa
„Man muss sehr umsichtig, flexibel und auch ein bisschen voraussehend handeln.“ – so Prof. Dr. Dörte Fouquet, Partnerin of Counsel bei BBH, über die Arbeit als Europarechtlerin. Von 2011 bis 2020 war sie Partnerin bei Becker Büttner Held mit der Spezialisierung auf Europarecht und internationale Rechtsbeziehungen und verantwortlich für die Standortleitung des Büros in Brüssel. Seit 2020 ist Dörte Fouquet als Partnerin of Counsel tätig –mit großem Erfolg, wie auch ihre Nominierung für den LUCE Awards in der Kategorie „Legacy Women“ zeigt. In diesem Interview hat sie uns einen Einblick in ihre Tätigkeit als Europarechtlerin gewährt und spricht über die Ups und Downs ihrer Tätigkeit.
Woher wussten Sie, welcher Rechtsbereich der richtige für Sie ist? Was ist für Sie das Spannende am Europarecht?
Das habe ich schon während des Studiums gemerkt. Zur damaligen Zeit war im Jurastudium das Europarecht noch kein selbstständiges Fach. Wir reden hier ja von den 70er-Jahren, wo das Europarecht lediglich am Rande Thema war.
Als ich dann als junge Beamtin in meiner ersten Stelle in Hamburg 1986 tätig wurde, gab es das große Nuklearunglück in Tschernobyl. Das war für mich die Motivation, die Energiepolitik ändern zu wollen – und es hat mir auch gezeigt, dass Desaster keine Grenzen kennen. Dadurch war mein Blick dann sofort auf Europa gelenkt. In der Ausbildung zur Referendarin bin ich während meines Auslandsaufenthaltes in eine deutsch-französische Kanzlei gegangen. Von da an war der europäische Weg, vor allem in Bezug auf Umwelt-, Energie- und Infrastrukturrecht, für mich vorgezeichnet.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag als Europarechtlerin aus?
Ein typischer Tag als Europarechtlerin bei BBH … den gibt es nicht! Was immer wieder deutlich wird, ist die Vielfalt der Beratung im Europäischen Recht. Unsere Kanzlei zeichnet sich auch seit vielen Jahren dadurch aus, dass das Europarecht Teil des Kanons der Beratung in vielen Teams ist. Meine Aufgabe in der Begleitung unserer Kanzlei in Brüssel fokussierte – und fokussiert – sich auf bestimmte Bereiche, wie dem Förderrecht, dem Beihilferecht und allgemein der Energierechtsentwicklung in Europa. Letzteres ist vor allem für unsere Mandantschaft in Deutschland wichtig zu begleiten.
Das mache ich natürlich mit dem kleinen Team in Brüssel nicht allein. Wir haben fantastische Beispiele, bei welchen Partner:innen fokussiert auch selber darauf achten, dass ihre Mandant:innen gut begleitet werden, was ihre Interessen in Europa angeht. Da fallen mir Namen wie Prof. Dr. Ines Zenke, Dr. Tigran Heymann, Prof. Christian Held und viele andere ein. Alle aufzuzählen, würde jetzt den Rahmen sprengen.
Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in der Arbeit als Rechtsanwältin mit der Spezialisierung auf europäische und internationale Rechtsfragen?
Man muss sehr umsichtig, flexibel und auch ein bisschen voraussendend handeln. Ein Beispiel: Wir haben in diesem Jahr die Europawahl im Juni. Danach werden die Karten im Europaparlament neu gemischt. Das Parlament wird sich unter anderem Vorschläge vom Rat, welche ja aus den Mitgliedsstaaten kommen, anschauen. Die Kommissar:innen und Vizepräsident:innen müssen sich im nächsten Schritt vorstellen. Diesbezüglich muss dann einiges geprüft werden. Am Ende erwarten uns neue Mehrheiten im Parlament, was natürlich auch dazu führt, dass es ein neues Arbeitsprogramm der Kommission geben wird.
An diesem arbeite ich jetzt schon – insbesondere für einen Verband, den ich schon seit über 20 Jahren in Brüssel vertrete. Dieser Verband ist ein Dachverband nationaler Verbände von Produzenten erneuerbarer Energien. Wir bereiten jetzt gerade eine umfangreiche Wunschliste für den Energiebereich aus Sicht der Erneuerbaren für die kommende Kommission vor. Anschließend werde ich mit den Kolleg*innen in Brüssel einen Termin mit jenen Kommissionsmitarbeiter*innen machen, die mit Sicherheit auch unter der neuen Kommission dabei sein werden. Mit diesen arbeiten wir aktuell schon mal zusammen, um dann für die nähere Zukunft vorbereiten zu können. Ähnlich gehen wir auch mit den Abgeordneten im Parlament und deren Mitarbeiter:innen vor. Das ist jetzt sicherlich nichts Besonderes, denn BBH agiert ähnlich im deutschen Bundestag oder gegenüber der deutschen Bundesregierung. Aber wir handeln hier eben auf europäischer Ebene.
Welche aktuellen Entwicklungen und Trends im europäischen Recht beobachten Sie besonders aufmerksam?
Wir haben in den letzten Jahren alles um den Green Deal begleitet. Es gab ein unglaublich umfangreiches Gesetzgebungs- und Modernisierungspaket unter dem Stichwort Zielerreichung. Gemeint sind beispielsweise die ehrgeizigen Ziele rund um den Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch Effizienzziele und die Moderierung des Emissionshandels. Wir haben also einmal bei BBH, aber auch natürlich für den Mandanten diese Prozesse begleitet.
Ich bin diesbezüglich wirklich glücklich, dass es mir über einen legislativen Änderungsvorschlag gelungen ist, das öffentliche Interesse für den Ausbau erneuerbarer Energien gegenüber der Gesetzesinitiative der Kommission zur derzeitigen Erneuerbare-Energien-Richtlinie anzutragen. Das hatten wir auch schon im Rahmen der SOS-Verordnungen angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit der Kommission besprochen. Auch dazu gehörte bereits eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien und der Wunsch aus der Abhängigkeit von Gas und anderen Mineralien wegzukommen. Hier haben wir sehr intensiv mitgearbeitet und ich bin entsprechend stolz, dass die Mühe auch Früchte getragen hat.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Eigenschaft, die ein Experte oder eine Expertin für das Europarecht mitbringen sollte?
Neben guter Kenntnis im Recht logischerweise und aufmerksamer Beachtung der Entwicklung muss man große Flexibilität mitbringen. Man sollte auch die Fähigkeit haben, zu verhandeln und Kompromisse zu suchen. Diese Devise gilt zum einen für die Einzelentscheidungen im Beihilfeverfahren, wobei man mal die Regierung und mal den Beihilfeempfänger berät. Gerade in solchen Fällen sollte man kompromissbereit sein hinsichtlich bestimmter Förderintensitäten oder dergleichen, um rasche Entscheidungen der Kommission zu ermöglichen.
Auch im Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene sollte man eine gewisse Kompromissbereitschaft mitbringen. Man kann nicht jede Schlacht gewinnen, sondern muss sehen, wo die zu erhaltenden Schwerpunkte für die Bundesregierung oder die Mandantschaft liegen und an welchen Stellen man dann eben auch mal nachgegeben kann.
Wichtig ist auch, eine Verbindung zu Vertreter:innen anderer Regierungen zu suchen und ihnen vielleicht auch zu helfen. Das ist natürlich nicht unsere Rolle – wir sind keine Regierung – aber bestimmte Sachthemen kann man dann als Europarechtler:in doch mal von unnötigen Konflikten bereinigen.
Was war der schönste Moment in Ihrer Karriere als Anwältin für das Europarecht?
Das war eigentlich ziemlich am Anfang meiner Karriere. Wir haben in Deutschland ja das Förderrecht für erneuerbare Energien. Ursprünglich als Stromeinspeisungsgesetz bekannt, gibt es mittlerweile das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die Kommission stritt sich Anfang der 2000er-Jahre hartnäckig mit der Bundesregierung darüber, ob die deutsche Regelung der Umlage der Preise für erneuerbare Energien über die Netze nicht eine Beihilfe darstelle. Das deutsche System und die Beihilfe ist auch heute immer wieder Thema – aber damals war sich die Kommission so sicher, dass sie diesen Streit vor dem Europäischen Gerichtshof gewinnen würde. Ich habe zu diesem Zeitpunkt für das Bundesumweltministerium viele Verhandlungen hinter den Kulissen mitgeführt und spannende Gespräche gehabt. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, an einen Austausch mit dem ersten österreichischen Kommissar. Er meinte, dass das deutsche System auf jeden Fall eine Staatsbeihilfe sei. Da haben wir immer dagegengehalten.
Ein toller Moment war dann, als Deutschland gegen die Kommission vor dem EuGH war. In der europäischen Rechtsprechung ist es so, dass nach den mündlichen Verfahren der/die Generalanwält:in erst einmal sein/ihr Votum abgibt, welches bereits relativ richtungsweisend ist für das spätere Urteil. Zu der Zeit war ich für ein anderes Mandat in Amerika und bekam dann ganz früh morgens wegen der Zeitverschiebung einen Anruf von einem deutschen Journalisten, dass der Generalanwalt Jacobs das deutsche System als keine Beihilfe einstufte. Das war ein wirklich wunderbarer Moment, denn davor lagen etliche Monate von Verhandlungen.
In Anbetracht Ihrer langen Zeit bei BBH: Was hat Ihnen hier besonders gut gefallen?
Das auf Konzentration fokussierende und durchaus klare Kante zeigende Team. Wir haben damals beschlossen, dass wir uns auf die kommunale Energieversorgung konzentrieren. Wir hatten einen festen Kreis an Mandant:innen und haben immer aufgepasst, dass wir eben nicht in Abhängigkeiten zu den großen Versorgern geraten. Die hatten damals eine andere Zielrichtung. Diesbezüglich hat sich aber vieles geändert.
Es haben sich mit der Zeit konsequent Teams unter den Stichworten Strom, Energie, Netz und Emission gebildet. Darüber hinaus haben wir Teams, die wunderbare Industrieberatung machen. Wir haben außerdem größere Teams im Bereich der erneuerbaren Energien gebildet. Dazu gehört auch die Beihilfe. Es hat also immer ein Leitmotiv gegeben, unter welchem man sich gut verbinden und solidarisieren kann. Auch ein gegenseitiges Kritisieren und anschließendes Weiterentwickeln war immer möglich. Der Erfolg hat BBH ja auch bisher recht gegeben.
Ich denke so schnell kann uns mit dieser spezifischen fokussierten Ausrichtung keine andere Kanzlei ähnlicher Größe das Wasser abgraben. Wir sind auch kein Outlet irgendeiner Megakanzlei. Insofern denke ich, dass man es bei BBH, gerade als junge(r) Kolleg:in, einfacher hat, sich zu solidarisieren, sich hinter das Thema BBH zu stellen und die Kanzlei mitzuentwickeln.
Welchen Ratschlag hätten Sie gerne am Anfang Ihrer Karriere gehört?
Der Ratschlag, den ich gerne gehört hätte und so auch weitergeben würde, ist sehr auf die deutsche Anwaltsstruktur und Anwältinnenstruktur fokussiert – das nur mal als Vorwarnung. Mein Ratschlag ist, dass man sich nicht davon abhalten lassen sollte, Kreativität und Mut zu zeigen – sowohl im eigenen Unternehmen, aber gerade auch auf europäischer Ebene gegenüber den Institutionen. Es hat sich zwar ein wenig geändert, auch durch die neue Medienwelt, aber es ist nach wie vor so, dass es eine kleine Hürde gibt, wenn man Inhalte gegenüber Mandant:innen präsentieren soll. Es ist nicht so, dass die Mandant:innen in einem Elfenbeinturm sitzen, aber manche haben so ein bisschen diese Attitüde. Deswegen der Ratschlag an die jungen Kolleg:innen, dass Bange machen nicht gilt. Seien Sie gut vorbereitet und fragen Sie vor allem nach. Das, was man noch nicht an Erfahrung hat, muss man neben exzellenter Fachkenntnis an Kreativität und Mut haben. Wichtig ist aber auch die Bereitschaft, nachzufragen und andere ältere Kolleg:innen mal zu bitten, einen Moment anzuhalten und mehr Vorbereitung zu geben.
Gegenüber Mandant:innen sollte man auch klar machen, dass man als junge(r) Kolleg:in durchaus schon mit der eigenen Briefmarke kommt und nicht als Aktenträger. Das kann man dann vorher auch gerne schon ein wenig durchschauen lassen bei wichtigen Mandant:innen, sodass diese erkennen, dass man nicht als Lehrling kommt, sondern als junge Fachkraft.
Vielen Dank für das Gespräch!